Sonntag, 27. März 2011

Zieht man auch heute noch den Hut voreinander?

Als mein Vater früher draussen grüsste, zog er seinen Hut. Dann kamen die Baseball-Kappen, und diese werden ja auch drinnen nicht abgenommen und selbstverständlich auch nicht beim Grüssen. Jetzt scheint der Hut ein Comeback zu haben, und ich frage mich: Grüsst man wieder durch Ziehen des Huts? Ein Zylinder wird manchmal auch nur mit dem Zeigefinger zum Gruss angetippt - ist das auch mit einem Hut zulässig? Harald R., per E-Mail

Im Grunde wäre es zu begrüssen, wenn mit der Hutmode auch die schöne Sitte wiederkehrte, dass man die Kopfbedeckung zur Begrüssung kurz lupft oder wenigstens antippt. Da Menschen sich aber, gerade im städtischen Raum, meist gar nicht mehr begrüssen, wird unser Wunsch wohl ein solcher bleiben. Ausserdem dies: Die, die jetzt wieder Hut tragen (meist Trilbys), sind sogenannte Hipsters, und deren Blickfeld beschränkt sich üblicherweise auf das Display ihres Mobiltelefons. Andere Hutträger werden sie also gar nicht wahrnehmen, und wenn doch, dann wissen sie nicht, dass man früher voreinander den Hut zog. 

Kommentar von Leser Rolf W. vom 28.3.2011:
Ergänzend zu Ihrem Kommentar: Man grüsst so, dass man sein Gesicht dem Gegrüssten gegenüber nicht verdeckt. Wenn Sie also rechts an mir vorbei gehen, ziehe ich meinen Hut mit der linken Hand.  Mit Jahrgang 1944 habe ich noch erlebt, wie man sich im Dorf mit Hut grüsste und wie ein Herr Pfarrer stets mit der das Gesicht verdeckenden Hand den Hut zog. Ob man links oder rechts kreuzte.

Firmenlogos auf Hemdkragen

In unserer Softwarefirma tragen die Verkäufer bei Kundenkontakt jeweils Hemden, auf deren Kragen der Firmenname eingestickt ist. Ich meine, bei Sportlern mag dies als Werbefläche durchgehen, nicht aber im Geschäftsbereich. Was meinen Sie? Michel L., per E-Mail

Auf Hemdkragen aufgestickte Logos sind eine ziemliche Grobheit, um nicht zu sagen: total stillos. Im Kontext einer akzeptablen Berufsbekleidung haben solch krude Merkmale nichts zu suchen.

Von welcher Seite her isst man den Spargel?

Bald beginnt wieder die Spargelzeit. Mein Partner beginnt den Spargel jeweils vom hinteren Ende her zu essen (sogar in einem Restaurant) mit der Begründung, dass er dann den besten Bissen zum Schluss geniessen kann! Ich finde, dass das schon beinahe ein Stilbruch ist. Was meinen Sie? Hildegard N., Bassersdorf

Letzte Woche schrieb mir Leserin Bettina K. spätnachts eine furiose E-Mail, in der sie mich als Statthalter von Dekadenz und Dummheit brandmarkte, weil es in dieser Kolumne doch nur um Nebensächliches und Peinlichkeiten gehe. Das hat mich für einen Moment ins Grübeln gebracht. Und ich habe mich gefragt, ob das Traktandieren des Themas, das Sie nun auftischen, diese Frau nicht vollends durchdrehen lässt. Deswegen gebe ich Ihre Frage jetzt einfach zurück: Ist das, was Ihr Partner tut, wirklich ein Problem? Ich finde, er sollte so frei sein, seinen Spargel von links oder rechts, oben oder unten her zu es-sen. Solange er dabei nicht schmatzt und grunzt, scheint mir jedes Reglement unnötig.

Sonntag, 20. März 2011

Mit XL-It-Bag abends ins Theater?


Mir fällt auf, dass viele Frauen am Abend im Theater oder Konzertsaal grosse Taschen tragen. Ich war immer der Meinung, dass die Tasche, je später es ist, desto kleiner sein sollte. Bin ich, 64, altmodisch? Annemie M., Cham

Sie sind nicht altmodisch, sondern gut informiert. Ihr Vorsprung in Stilfragen verschafft Ihnen aber leider auch Anblicke, bei denen andere indifferent bleiben. Erwähnte Taschen gehören dazu. Ihre Faustregel ist völlig korrekt, doch investieren viele Damen heute Unsummen in modische Grossbehältnisse, die sie dann ins Theater schleppen. Ich kenne Damen, deren Wirbelsäule schon völlig krumm ist von den XL-It-Bags, die mit einem halben Hausrat vollgestopft sind. Da können Frauen mit kleinen, eleganten Clutches (Abendtaschen) nur mitleidig lächeln.

Kommentar von Leserin Roswitha G. vom 20.3.2011:

Natürlich hätte auch ich (62) einiges zu kritisieren an der Kleidergarderobe unserer Theater-, Konzert- und Opernbesucher. Doch ich bin schon froh, wenn die Leute nicht in schlecht sitzenden Jeans und T-Shirt aufkreuzen. Doch gehöre ich auch zu den Frauen, die sich erlauben, mit grosser Tasche ins Theater, ins Konzert und in die Oper zu gehen. Natürlich weiss ich, dass es feiner wäre, wenn ich eine kleine Tasche trüge. Das verträgt sich aber nicht mit meiner Situation als berufstätige Frau: Ich gehe oft vom Büro direkt ins Theater, in die Tonhalle, ins KKL oder in die Oper und da bin ich zwar korrekt gekleidet, aber – ich gebe es zu – ich trage eine grosse (schöne!) Handtasche bei mir. An Wochenenden steige ich eine Klasse höher hinauf. Ich habe mir was ich meine «Operntasche» nenne gekauft, sehr elegant, aber wohl immer noch eine Spur zu gross für Ihre Leserin. Wieso? Weil ich keinen Begleiter habe, der mich hinterher zum Essen einlädt, also muss ich mein Portemonnaie selber mittragen mit Kleingeld (für das Parkhaus falls ich mit dem Auto unterwegs bin oder für Trinkgelder), allenfalls eine Kreditkarte oder meinen Ausweis für die Strassenbahn, dann Taschentücher, (welche zum Nasenputzen aus Papier und Spitzentaschentücher zum Weinen, man will ja mit Noblesse untergehen) aber am Allerwichtigsten: mein Leica-Feldstecher. Der ist etwas grösser als ein Operngucker aber ich SEHE etwas damit. Manchmal kommt noch die Sonnenbrille dazu (ab sofort scheint die Sonne noch wenn ich in die Oper fahre wie heute). Manchmal habe ich Lesestoff dabei. Von Lippenstift und Kamm gar nicht zu sprechen. Das alles hat keinen Platz in einer kleinen Abendtasche – die ich durchaus in vielen verschiedenen Farben besässe, die sich aber alle als untauglich erweisen und daher ein tristes Dasein führen. Deshalb: Eine schöne, elegante Tasche hat seine Berechtigung auch im Kulturleben. Die sportlichen Taschen allerdings, die ziemen sich nicht.

Ihre Fragen, bitte!

Ihre Fragen senden Sie an jvr@nzz.ch  – Weitere Stilfragen finden Sie auch auf NZZ Online
Wie schenkt man Weinflaschen? Wohl nicht in durchsichtiges Zellophan verpackt? Dominik F., per E-Mail 

Ui, Sie haben recht . . . Dieses grausige Knisterzellophan mit Regenbogen-Effekt! Doch sind auch die Geschenkbeutel, die man in Weinhandlungen bekommt, oft sehr hässlich. Die schönste Weinverpackung, die ich je sah, war eine von Hand mit schwarzem Garn in weisse Gaze eingenähte Flasche. Toll sind auch nach alter japanischer Furoshiki-Technik in ein quadratisches Seidentuch gewickelte Flaschen. Entsprechende Bindeanleitungen lassen sich im Internet leicht finden, etwa hier.

Stramm rechts mit Bart?

Nun säumen wieder Plakate mit lächelnden Politikern die Strassen. Da ich auch zu den Bewerbern um die Wählergunst gehöre, werde ich gelegentlich betreffend meines Dreitagebartes angesprochen. Gerade konservative Wähler, die ich gerne ansprechen möchte, bekunden Mühe mit modischem Firlefanz. Allerdings trage ich den schon seit längerem so. Zudem stelle ich fest, dass die Damenwelt wesentlich aufgeschlossener reagiert. Muss ich um Stimmen fürchten? Christian L., Dänikon 

Ich habe mir Ihre Wahl-Website angeschaut, Sie strammer Wertkonservativer, und finde Ihren Auftritt, so rein vom Optischen her, recht sympathisch. Inhaltlich müssten wir längere Gespräche führen, doch darum geht es ja nicht. Der Bart ist smart, und er steht Ihnen gut - Trend hin oder her. Er passt auch zu Ihrem Job [Anmerkung: Der Mann ist Berufsmilitär in der Luft]. Die Stimmen, die Ihnen aus der Ecke der Stil-Renitenten fehlen werden, fliegen Ihnen sicher aus dem Lager der Damen zu. Insofern glaube ich, dass Ihr Bart kein wahlrelevantes Risiko darstellt, im Gegenteil: A la longue wird dieses Markenzeichen für Sie gutes Kapital sein. Denn Ihre Sünneli-Partei kann mehr zeitgeistiges Flair brauchen!

Donnerstag, 17. März 2011

Kaffeelöffel vor dem Trinken rausnehmen!

Ich ärgere mich, wenn ich sehe, dass Leute ihren Kaffeelöffel
in der Tasse stehen lassen. Es kann so leicht passieren, dass die Tasse umkippt, wenn jemand über den Tisch greift und am Löffel hängen bleibt. Ausserdem finde ich, dass es sehr burschikos, rustikal und bäuerlich aussieht. Peter F., Erlenbach

Ich freue mich, dass wir uns in diesen Kulturkreisen nicht über viel Schlimmeres ärgern müssen als Kaffeelöffel, mit denen sich die Menschen beim Trinken selbst die Augen ausstechen. Das ist ein überdeutliches Zeichen einer extrem verfeinerten Hochkultur - nicht der aufragende Löffel, sondern das Thema! Sie haben natürlich meinen Support, auch wenn ich unlängst von einem TV-Team dabei erwischt wurde, wie ich meinen Löffel beim Trinken im Becher stehen liess. Oh Schande, ich wurde von Zuschauern abgestraft. Natürlich wird der Löffel nach dem Umrühren auf dem Unterteller abgelegt - und bitte nicht ablecken.

Gemütlicher Abend ohne Kids

Auf Einladungen wird gern die Art des Anlasses festgehalten und ein Dresscode vorgegeben. Wie kann ich - mündlich oder schriftlich - meinen Gästen mitteilen, dass sie zur Party, zum Apéro oder auch zum Grillabend ohne Nachwuchs zu erscheinen haben? Nicole M., per E-Mail

Vorsicht, Sie betreten vermintes Terrain! Viele Menschen nehmen es sehr persönlich, wenn man sie wissen lässt, dass man ihre Bälger nicht gleichermassen schätzt wie sie selbst. Dennoch müssen Sie das Thema ganz eindeutig ansprechen. Mein Vater hat einen guten Trick, er spricht in solchen Fällen immer von «den anderen». Das heisst, dass Sie jeden, den Sie einladen, darauf hinweisen, dass «die anderen» Gäste übrigens ohne Kinder kämen. So haben Sie das Thema elegant aufgegriffen, ohne den Nachwuchs explizit ins Visier zu nehmen. Mündliche Ermahnungen sind in solchen Fällen auch weniger «hart» als schriftliche.

Lapel Pins (Abzeichen) am Anzug

Sind Sie der Meinung, dass Reversabzeichen (Lapel Pins) am Anzug tragbar sind, oder sind sie US-Präsidenten vorbehalten? Robert I., per E-Mail

Sie fragen mich nach meiner Meinung, und deshalb sage ich: Ich finde Lapel Pins zwar meist nicht schön oder chic, aber irgendwie sympathisch. Gerade dann, wenn das Abzeichen bestimmte Leidenschaften oder Hobbys eines Mannes darstellt, wie Fischen, Motorsport, Fliegerei, und es nicht kindisch aussieht. Solch kleine persönliche Dinge sorgen oft auch für willkommenen Gesprächsstoff beim Smalltalk. Nur den einen Pin, den mit Stars and Stripes, den sollte wirklich nur der elegante Herr Obama tragen.

Sonntag, 6. März 2011

Wieviele Knöpfe am Ärmel öffnen?

Illustration JVR.


Zur traditionellen Schneiderkunst gehört, dass jeder Knopf auch seine Funktion hat. So lassen sich bei Massanzügen die Knöpfe an den Ärmeln öffnen. Was ist heute gute Sitte: alle Knöpfe geschlossen lassen oder einige (welche?) offen tragen? Peter O., Berg (TG) 

Der echte Geniesser alter Schule, der immer schon Mass getragen hat, lässt alle Knöpfe am Ärmel geschlossen - es genügt ihm zu wissen, dass sie offen sein könnten. Sehen muss das aber keiner. Alle anderen, und dazu gehöre auch ich, können es sich nicht verkneifen, mit dem Öffnen eines einzigen, nämlich des untersten von drei oder vier Knöpfen, die erhabene Qualität ihres Jacketts zu akzentuieren. Das scheint mir menschlich und machbar. Tom Ford lässt zu dem Zweck das unterste Knopfloch sogar grösser nähen. Prollig wird's erst, wenn man die Ärmelschlitze mehr als halb oder gar ganz aufknöpft

Jubiläumsabend im Service-Klub

Unser Serviceklub feiert im April sein zehnjähriges Bestehen - als geschlossene Gesellschaft in unserem Klublokal mit Nachtessen und einigen unsportlichen Einlagen. Als junger Klub möchten wir den Anlass in einer Atmosphäre begehen, die gediegen und dennoch unkompliziert ist. Was würden Sie als Tenue-Empfehlung auf die Einladung schreiben? Thomas H., Zürich 

Aloha, frohe Klubgesellen! Sie sind an Ihrem Abend, wenn ich Sie richtig verstehe, ganz unter sich, also sollten Sie wenig Anlass haben, sich gegenseitig mit irgendwelchen Posen beeindrucken zu wollen, hinter denen gar nichts steckt. Es dünkte mich deshalb seltsam, wenn Sie irgend eine steife Standardformel wie «Casual Chic» oder «Cocktail» auf die Einladung drucken. Nutzen Sie aber die Gelegenheit, Ihre Mitglieder kreativ herauszufordern, und formulieren Sie einen offenen thematischen Hinweis, der etwas mit Ihrem Klub zu tun hat. Natürlich nicht so plump wie «Piraten» oder «Boudoir», sondern ein bisschen freier. Das gibt dann wunderbaren Gesprächsstoff fürs Zusammenkommen und lässt auch erkennen, wer von Ihnen die wirklich originellen Typen sind...

The answer, my friend, is blowing in the wind ...

Mein Ehemann meint, es sei verpönt zu blasen, wenn eine Speise zu heiss ist. Mein Sohn und ich sind uns da nicht ganz sicher. Was sagen Sie dazu? Laura G., Ettingen

Ach, ich glaube, daheim im privaten Rahmen darf man eine dampfend heisse Speise durchaus sanft anpusten, bevor man sich damit die Zunge verbrennt. Vor Gästen oder im Restaurant würde ich es aber nicht tun bzw. lieber mit einem kleinen Smalltalk die Zeit überbrücken, bis die Speisen von selbst etwas abgekühlt und geniessbar sind.